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  • AutorenbildKarin Braukhaus-Becker

Waltraud und Ingo Détemple lieben ihr neues Leben im Seniorenwohnsitz

Bericht und Fotos von Beate Dönnewald, Ruhrnachrichten

vom 31. Januar 2024


Barrierefreies Wohnen in einem neuen Stadtteil: Waltraud (81) und Ingo Détemple (83) aus Dortmund haben einen radikalen Schnitt gemacht. Zurück wollen sie nicht mehr.


25 Stufen gegen einen Fahrstuhl, der spricht. Nachbarn, die nicht grüßen, gegen Nachbarn, die einen in den Arm nehmen. Schneeschieber gegen Hausmeister. Altes Leben gegen neues Leben. Mit über 80 Jahren.Das Dortmunder Ehepaar Waltraud (81) und Ingo Détemple (83) hat dieses „Tauschgeschäft“ gewagt. Nach über 16 Jahren hat es einen radikalen Schlussstrich gezogen, Vertrautes hinter sich gelassen und eine Wohnung in einem barrierefreien Gebäude in einem für sie fremden Stadtteil gemietet. „Wir haben das große Los gezogen“, sagen die beiden vier Monate nach ihrem Einzug in den „per Pedes“-Seniorenwohnsitz in Lütgendortmund.



Mutig oder gar verrückt, wie es viele in ihrem persönlichen Umfeld empfunden hätten, sei dieser Schritt keinesfalls gewesen, betonen Waltraud und Ingo Détemple. „Wir waren einfach ehrlich zu uns“, sagt der 83-Jährige. Noch seien sie einigermaßen fit und nicht auf fremde Hilfe angewiesen. „Doch das kann sich schlagartig ändern. Wenn es so weit ist, ist es schwierig, sich neu zu orientieren.“Für die Entscheidung, die Eigentumswohnung im 1. Obergeschoss ohne Lift in Dortmund-Asseln zu verkaufen und eine 80 Quadratmeter große, barrierefreie Wohnung in Lütgendortmund zu mieten, hätten sie nicht lange gebraucht. „Ich hatte samstags über den Seniorenwohnsitz in der Zeitung gelesen, montags haben wir uns auf die Interessentenliste setzen lassen“, erzählt Waldtraud Détemple. Ein paar Mal seien sie um das Haus an der Limbecker Straße geschlichen und hätten sich dann bereits ohne Besichtigung für ihre Traumwohnung im 2. Obergeschoss mit Südbalkon „innerlich entschieden“.

 

Natürlich sei es einfacher, eine Wohnung aufzugeben als ein Haus, räumen die beiden ein. „Unser Haus in der Bittermark haben wir nach 30 Jahren verkauft und sind dann in unsere Eigentumswohnung gezogen.“ Dieser Schritt habe ihr wehgetan, erzählt die 81-Jährige. „Ich bin in die Bittermark gefahren und habe die Haustür angeweint.“Beim letzten Umzug sei keine einzige Träne geflossen. Man sei sich eben sehr sicher gewesen, das Richtige zu tun. Was es leicht gemacht hat: „Wir konnten den Schritt zu zweit machen und alle Möbel, also unser Zuhause, mitnehmen.“ Die Essecke etwa hätten sie exakt so aufbauen und einrichten können wie in der alten Wohnung, die gerade mal sechs Quadratmeter größer war.

 

Nur einmal, am ersten Abend im neuen Heim, hätten sie sich angeschaut und sich gefragt: „Mein Gott, was haben wir hier gemacht?“ Es sei ein einziger kleiner Moment der Unsicherheit gewesen, den sie schnell weggeschoben hätten: „Alles richtig gemacht“, sagten sie im Oktober 2023 und sagen sie vier Monate später. Zurück in ihr altes Leben – das wollen sie auf keinen Fall mehr.Schlaflose Nächte hätten sie aber auch einige gehabt, erinnern sich die Eheleute. „Wir haben hin und her überlegt, wie wir die Möbel stellen können.“ Das lange Tüfteln habe sich gelohnt, das meiste hätten sie unterbringen und nach einem „strammen Umzug“ zu einem gemütlichen und geschmackvollen Ganzen zusammensetzen können. Das geräumige, lichtdurchflutete und alles andere als überladene Wohnzimmer mit frei stehender Ledercouch ist der Mittelpunkt der Détemple-Wohnung.



„Nur mit der kleinen Küche tue ich mich noch etwas schwer, in Asseln hatte ich eine Riesenküche“, sagt Waltraud Détemple. Aber auch dafür hätten sie eine Lösung gefunden: Im Abstellraum stehen nun eine Kühltruhe und ein zweiter Kühlschrank.


Möbel und Einrichtungsgegenstände allein könnten natürlich nicht dafür sorgen, sich heimisch zu fühlen, so die beiden Senioren. Auch nicht ein riesiger Balkon mit Weitblick oder ein über den virtuellen Sprachassistenten „Alexa“ gesteuertes Beleuchtungssystem für die komplette Wohnung.


Und schon gar nicht das neue Schlafzimmer: „Zuhause haben wir getrennt geschlafen, hier wären die Räume zu weit auseinander gewesen.“ Die neuen Betten würden sich noch fremd anfühlen. „Manchmal fragen wir uns beim Aufwachen: Wo sind wir hier?“, erzählt Waltraud Détemple und lacht.Warum sie so schnell in Lütgendortmund angekommen sind, liege zu einem großen Teil an der Nachbarschaft, sind sich die Détemples sicher. „In Asseln zogen immer mehr junge Leute ein, die uns nicht gesehen haben. Hier sind wir alle in einem Alter, mit ähnlichen Geschichten, mit ähnlichen Interessen.“ Die ersten Freundschaften bahnten sich schon an. „Eine Nachbarin nimmt mich jedes Mal in den Arm, wenn sie mich auf dem Flur trifft“, erzählt Waltraud Détemple.

 

Angebote des Hauses wie etwa das wöchentliche stattfindende Kaffeetrinken würden sie immer wahrnehmen. „Silvester haben wir mit über 20 Nachbarn gefeiert.“ So könne man sich beschnuppern, so würden die Gesichter immer vertrauter werden. „Mein Mann hat sich mit einigen BVB-Fans zusammengetan und Sky organisiert. Die gucken jetzt immer unten im Gemeinschaftsraum zusammen Fußball.“ Mit einem anderen Pärchen sei man nach Aplerbeck zum Winterglühen gefahren.Auch andere Dinge würden sie nun in vollen Zügen genießen: morgens nicht mehr Schnee schippen zu müssen, sondern nun dem Hausmeister dabei zusehen zu können, wie er sich abrackert. Den leisen Fahrstuhl, der die Etagen ansagt. Oder zu Fuß zum Rewe und zum Penny zu gehen. Apotheke, der Bäcker, der S-Bahnhof, die Bushaltestelle, der Wochenmarkt, alles sei schnell erreichbar. „Die zentrale Lage ist für uns das i-Tüpfelchen.“

 

Die beiden Case-Managerinnen als ständige Ansprechpartnerinnen im Haus seien eine Wohltat, und die Option, über den Senioren-Betreuungsdienst Schulterschluss im Bedarfsfall Hilfen dazubuchen zu können, ein beruhigender Gedanke. Das „perPedes“-Konzept „Glücklich Wohnen im Alter“ geht hier in den Augen der Détemples auf.Mittlerweile hätten sie auch schon viele ihrer skeptischen Freunde und Bekannten besucht. „Die haben alle gedacht, das sei hier betreutes Wohnen“, so Ingo Détemple. Vor Ort seien alle erstaunt gewesen und hätten gesagt: „Ihr habt alles richtig gemacht.“ Ihre beiden Söhne seien von Anfang an für den Umzug gewesen: „Sie konnten sich das zuerst nicht vorstellen und haben sich alles mit uns angeguckt. Dann haben sie gesagt: Das ist genau der richtige Weg.“

 

Womit das Ehepaar nicht rechnen konnte, als es sich für Lütgendortmund entschied: „Wir haben noch nie so viel Hilfsbereitschaft erlebt wie hier“, sagen beide gleichzeitig dankbar und verblüfft. Ein schönes Erlebnis hätten sie beispielsweise während des Bahnstreiks gehabt. „Wir mussten auf den Bus ausweichen und wirkten wohl etwas unsicher. Sofort wurde uns von mehreren Seiten ungefragt Hilfe angeboten.“Waltraud und Ingo Détemple, die ehemalige Wirtschaftsberaterin und der ehemalige Servicetechniker, sind sich bewusst, dass man sich mit einer durchschnittlichen Rente eine Wohnung in diesem Seniorenwohnsitz nicht leisten kann. „Wir zahlen 1800 Euro für 80 Quadratmeter“ – inklusive Hausmeister-Service, Case-Managerinnen, Stellplatz, Küche. Ohne das Geld aus dem Verkauf der Eigentumswohnung könnten sie die Summe nicht aufbringen. „Die nächsten 20 Jahre können wir hier sorgenlos wohnen, so lange wird das Geld reichen. Länger werden wir wohl kaum leben“, sagen die Détemples.



 

Der Tod ist für beide kein Tabu-Thema. „Einer von uns wird allein zurückbleiben“, sagt die 81-Jährige. Dafür gebe es kaum einen besseren Ort als diesen. „Wenn ich vor meinem Mann sterbe, weiß ich, dass er von vielen hier aufgefangen wird.“ Das sei für sie sehr beruhigend. „Er wird sicherlich oft zum Mittagessen eingeladen, Frauen gibt es ja hier genügend“, sagt sie und schaut dem Mann, mit dem sie seit 62 Jahren verheiratet ist, liebevoll in die Augen.

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